Erste Experimente an neuem Röntgenlaser XFEL enthüllen unbekannte Struktur eines Antibiotika-Killers

Unter Beteiligung der Universität Hamburg

11. Oktober 2018, von PM DESY / Red.

Foto: DESY/Lucid BerlinKünstlerische Darstellung des Experiments: Treffen die intensiven Röntgenlaserblitze (lila) auf die Proteinkristalle in dem schnellen Wasserstrahl, lässt sich aus diesen Aufnahmen die Struktur der Proteine in dem Kristall erkunden (rechts).

Eine internationale Forschungsgruppe unter Beteiligung der Universität Hamburg hat die Ergebnisse der ersten Experimente am neuen Röntgenlaser European XFEL veröffentlicht. Die Arbeit zeigt nicht nur, dass diese neue Anlage Experimente stark beschleunigen kann, sie enthüllt auch eine bislang unbekannte Struktur eines Enzyms, das für Antibiotika-Resistenzen eine wichtige Rolle spielt. Das Team präsentiert seine Ergebnisse im Fachblatt „Nature Communications“.

Nachdem die Anlage mit einer bereits sehr gut untersuchten Substanz, dem Enzym Lysozym, getestet wurde, stand bei den Hauptuntersuchungen ein bakterielles Enzym im Fokus, das eine wichtige Rolle bei Antibiotika-Resistenzen spielt. Die CTX-M-14-β-Laktamase kommt im Bakterium Klebsiella pneumoniae vor und funktioniert wie eine Art molekulare Schere: Es zerschneidet die sogenannten Laktam-Ringe der Antibiotika, wodurch diese wirkungslos werden. „Manche Krankenhausstämme können bereits speziell entwickelte Antibiotika der dritten Generation spalten“, berichtet Ko-Autor Christian Betzel, Professor an der Universität Hamburg aus dem Fachbereich Chemie und Mitglied im Exzellenzcluster „The Hamburg Centre for Ultrafast Imaging“ (CUI). „Wenn wir verstehen, wie das genau geschieht, wird dies helfen, neue Antibiotika zu entwerfen, die dieses Problem umgehen.“

Enzyme in atomarer Auflösung

Hier kommt XFEL ins Spiel. Er liefert Röntgenblitze in sehr kurzem Abstand von nur 220 Nanosekunden, das sind 0,000 000 220 Sekunden. Vor dem European XFEL betrug die schnellste Pulsrate eines Röntgenlasers 120 Blitze pro Sekunde, das bedeutet einen Abstand von nur 0,008 Sekunden. Die Röntgenblitze werden auf Kristalle gerichtet. Diese sind sehr klein, im Bereich von wenigen Mikrometern, und werden vorab aus vielen gleichen Enzymen zusammengesetzt. Eingebracht werden diese Kristalle dann über einen sehr fein fokussierten Wasserstrahl, der durch eine maßgeschneiderte Düse in den Pfad des Röntgenlasers gelangt. Jeder Kristall erzeugt bei Beleuchtung mit Röntgenlicht des XFEL ein charakteristisches Beugungsbild, das mit einem am DESY in jahrelanger Arbeit entwickelten Röntgendetektor aufgezeichnet wird. Dieser gehört zu den schnellsten der Welt. Werden genug solcher Beugungsbilder in allen Orientierungen der Kristalle gewonnen, lässt sich daraus die räumliche Struktur der Kristallbausteine – also des Enzyms – zu atomarer Auflösung berechnen.

Molekül-Schwere ausschalten

Die Forscher durchleuchteten so auch die CTX-M-14-β-Laktamase des Bakteriums in Kombination mit der Substanz Avibactam, die als Hemmstoff Antibiotika beigemischt wird, um die Schneide- und damit die Wirksamkeit von CTX-M-14-β-Laktamase zu blockieren. „Die Ergebnisse zeigen mit 0,17 Nanometern Genauigkeit, wie sich das Avibactam in eine tiefe Furche auf der Enzymoberfläche schmiegt“, erklärt Ko-Autor Markus Perbandt vom CUI-Cluster von der Universität Hamburg. „Diesen spezifischen Komplex hatte zuvor niemand je gesehen, allerdings war die Struktur der beiden separaten Komponenten bereits bekannt.“

Die Messungen zeigen, dass sich mit dem European XFEL Strukturinformationen von hoher Qualität gewinnen lassen – ein erster Schritt zur Aufzeichnung von Serien-Schnappschüssen von biochemischen Reaktionsabläufen zwischen Enzymen und ihren Substraten. Zusammen mit den Ko-Autoren Martin Aepfelbacher und Holger Rohde vom Universitätsklinikum Eppendorf, plant das Team, den Röntgenlaser im nächsten Schritt als eine Art Filmkamera einzusetzen, um aus solchen Serienbildern einen Film zu erstellen, der die Enzym-Spaltung auf molekularer Ebene zeigt. „Solche Filme würden uns entscheidende Einblicke in den biochemischen Prozess geben, die uns eines Tages helfen könnten, bessere Hemmstoffe zu entwerfen und damit Antibiotikaresistenzen zu reduzieren“, sagt Betzel.

XFEL steht für X-ray free-electron laser – also Freie-Elektronen-Röntgenlaser. Der European XFEL wird von dem weltweit längsten supraleitenden Linearbeschleuniger angetrieben, der vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) betrieben wird. Zwei Wochen nach der Eröffnung im September 2017 fanden die ersten Messungen statt, die allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Gemeinschaft offen standen. Insgesamt waren rund 125 Forscherinnen und Forscher beteiligt.

Weitere Informationen

Originalarbeit

“Megahertz serial crystallography”; Max O. Wiedorn, Dominik Oberthür, Richard Bean, Robin Schubert, Nadine Werner, Markus Perbandt et al.; „Nature Communications“, 2018; DOI: 10.1038/s41467-018-06156-7

Original-Pressemitteilung